Artikel in der NÖN (Baden) am 14.10.2002 

Wirbel um Notarzt

LEBENSGEFAHR / Sohn hatte epileptischen Anfall, doch statt Notarzt kamen Sanis. Erregte Mutter: „Wer ist schneller, Notarzt oder Bestattung?“

TRAISKIRCHEN / Eine schlimme Erfahrung machte Ursula Obermeier aus Tribuswinkel. Am Sonntag vor einer Woche hatte ihr Sohn Jochen, der sich seit einem schweren Verkehrsunfall im Dezember 1999 im Zustand des Wachkomas (Apallisches Syndrom) befindet, einen epileptischen Anfall. Sofort rief sie beim Arbeiter Samariter Bund (ASB) Traiskirchen an, um den Notarzt anzufordern. Der Journalbeamte schickte jedoch nur zwei Sanitäter - „und das, wo mein Sohn zu ersticken drohte!“ Die Sanis stellten fest, dass sie nicht in der Lage waren zu helfen und forderten den verlangten Notarzt an, der ein paar Minuten später zur Stelle war und dem Sohn mit einer Injektion das Leben rettete. Ursula Obermeier fragt sich nun verständnislos: „Muss erst ein Todesfall eintreten, dass man in Ernstfällen sofort den Notarzt geschickt bekommt? Wird jeder Ernstfall einmal als Bagatelle abgetan, obwohl Angehörige, die schon seit fast drei Jahren mit einem Menschen leben, der schwer krank ist, die Situation vielleicht genauso gut beurteilen können, wie ein Sanitäter?“

Der technische Leiter des ASB Traiskirchen, Erwin Mücke, stellt dazu fest, dass in der Regel zuerst die Sanitäter geschickt werden müssen, die dann gegebenenfalls den Notarzt verständigen. „Von 100 angeforderten Fällen sind 90 für den Notarzt unnötig“. Im besagten Fall merkt Mücke aber an, dass der Notarzt zum Zeitpunkt des Hilferufes gerade im Einsatz war, und daher ohnedies nicht „früher gekommen wäre“.

Ihren Unmut äußerte Obermeier auf der Kundenfrust-Seite „diemucha.at“. In einem Kommentar meint dort ein Leser, der selbst im Notarztdienst tätig ist, dass ein Fehlverhalten des Leitstellen-Disponenten vorliege: „Ein Status Epilepticus (Serie von Krampfanfällen) ist eine eindeutige Notarzt-Indikation.“

A. FUSSI

Reaktionen: "NOL: Was meinen Sie?"

Name: CCFP
Datum: 14.10.102 15:44

Es ist korrekt, dass - wie ich auch schon auf www.diemucha.at gepostet habe - ein epileptischer Anfall eine Indikation für einen Notarzteinsatz darstellt, da primär kaum ersichtlich ist, welche Art der Erkrankung zu diesem Anfall geführt hat (Hirnblutung, Unterzuckerung bei Diabetikern, u.v.m.). Die Interpretation, dass ich hier aber dem Leitstellendisponenten ein Fehlverhalten unterstelle, ist nicht korrekt. Da ich weder unter den eingesetzten Einsatzkräften war, noch besagter Dienststelle angehöre, kann und will ich keinerlei Schuldzuweisungen tätigen. Auf der einen Seite ist es klar, dass zu einem Epileptiker rasch der Notarzt geschickt werden sollte. Parallel dazu auch ein Rettungsteam, das bis zu dessen Eintreffen bereits mit Erstmaßnahmen beginnen kann (wohlgemerkt: ZUSÄTZLICH zum Notarzt, nicht ANSTATT). Sollte sich dann herausstellen, dass der Patient keiner notärztlichen Betreuung bedarf, kann die Alarmierung des Arztes immer noch storniert werden. Auch wenn der technische Leiter des ASB Traiskirchen meine, dass 90 % der Notarzt-indizierten Anforderungen im Endeffekt nur Bagatellen wären (was ich aus meiner langjährigen Erfahrung nicht behaupten möchte), darf dies meiner Meinung nach nicht dazu führen, primär einmal den Notarzt nicht zu alarmieren und erst die Sanitäter die Lage checken zu lassen. Dies bedeutet für den betroffenen Patienten eine erhebliche Zeitverzögerung bis zum Einsetzen einer effektiven notärztlichen Ersttherapie. Und auch wenn Herr Mücke mit seiner regionalen 90%-Theorie recht haben sollte, wäre ein solches Vorgehen unverantwortlich jenen 10 Prozent gegenüber, die den Arzt WIRKLICH rasch brauchen. So hoffe ich, dass dieses Zitat wohl nicht ganz so gemeint war, wie es hier zu verstehen ist.

Andererseits muss ich Herrn Mücke aber auch recht geben: Die meisten Einsätze stellen sich vor Ort ganz anders heraus, als am Telefon vom Anrufer geschildert. Der "Schwerverletzte" hat nur eine kleine Schnittwunde, und die "harmlosen Bauchschmerzen" sind ein ausgedehnter Herzinfarkt. So etwas kennen alle Rettungsdienst-Mitarbeiter. Dies sollte aber nicht dazu führen, prinzipiell jeden Einsatz zu bagatellisieren und erst zu warten, ob das ersteintreffende Rettungsmittel die Tragik bestätigt. Auch ein Notarzt tut nur seinen Job, und ein Notarztwagen ist keine "heilige Kuh", die nicht auch einmal einen Fehleinsatz fahren dürfte.

Mein Statement lautet also: Es kann vorkommen, dass der Notarzt einmal nicht verfügbar ist, oder länger braucht als der Rettungswagen. Ob dies im geschilderten Fall so war oder nicht, kann niemand außer den Beteiligten feststellen (und damit urteile ich, das möchte ich betonen, nicht über den Disponenten und die Sanitäter vor Ort). Niemals sollte es aber dazu kommen, dass der Notarzt bis auf's Äußerste zurückgehalten und erst "im letzten Moment" alarmiert wird, nur um keine Fehleinsätze zu provizieren. Denn so etwas würde den eigentlichen Sinn eines Notarztsystems - nämlich die rasche notfallmedizinische Hilfe - ad absurdum führen.

Name: Ein Notfallsanitäter
Datum: 14.10.102 17:23

Werte Leserschaft!

Zunächst einmal hoffe ich, dass es dem betr. Kind wieder gut geht, bzw., dass es sich bereits wieder auf dem Wege der Besserung befindet.

Ich kann mich den Ausführungen meines Vorredners, des Herrn oder der Dame CCFP, nur voll und ganz anschließen!

Lobend erwähnt werden, und das vermisse ich in diesem Bericht, sollte allerdings das Verhalten der Sanitäter, welche die Situation offensichtlich sofort richtig erkannt und den Notarzt hinzugezogen haben.

Die Aussage des techn. Leiters dagegen ist für mich als Fachmann absolut unverständlich! Unverständlich in doppelter Art und Weise: wie der geschätzte Kollege, CCFP, bereits ausgeführt hat, wäre die Handlungsweise: "erst Sanitäter zum Nachschauen schicken" gegenüber den angeblichen 10 % die lt. seiner Aussage wirklich einen Notarzt benötigen, verantwortungslos. Andererseits gibt es in der Sanitätshilfe bzw. Rettungs- und Notfall- sanitäterausbildungen ganz klare Richtlinien, wann ein Notarzt zu entsenden ist. Diese Richtlinien treten dann in Kraft, wenn aufgrund des Notfallmeldebildes von einem notarztpflichtigen Patienten ausgegangen werden muss, was bei einem Krampfanfall ganz klar der Fall ist.

Zusätzlich kann ich dieses Pauschalurteil „90% der Anrufer, die einen Notarzt wollen, brauchen keinen“ nicht so im Raum stehen lassen. Es stimmt schon, wie Kollege(in) CCFP geschrieben hat, dass sich der „Schwerverletzte“ oftmals als „Hypochonder“ mit einer kleinen Schnittverletzung herausstellt, wohingegen die vermeintliche Blinddarmentzündung ein Herzinfarkt sein kann.

Ein gut ausgebildeter Leitstellendisponent kann jedoch aufgrund einer qualifizierten Gesprächsführung viele wichtige Informationen aus dem Gespräch gewinnen und somit gezielt herausfiltern, welches Rettungsmittel (Krankenwagen, Rettungswagen, Notarztwagen oder Notarzthubschrauber) er zu entsenden hat. Zusätzlich gibt es, wie bereits oben ausgeführt, klare Richtlinien, wie zB einen „Krampfanfall“, für die sofortige Alarmierung eines Notarztmittels.

Durch diese Richtlinien, gepaart mit einer guten Gesprächsführung, welche natürlich hochqualifizierte Mitarbeiter am Journal voraussetzt, kann die Fehleinsatzquote von Notarztrettungsmitteln auf 20-30 % reduziert werden. Damit wären wir dann weit entfernt von den 90 %, die angeblich „eh keinen Notarzt brauchen“.

Dennoch möchte auch ich mich klipp und klar von jedweder Schuldzuweisung distanzieren: weder ich, noch der/die geschätzte Kollege/Kollegin, noch Sie, werte Damen und Herren der Presse, waren beim vorliegenden Vorfall vor Ort anwesend, wie ich vermute. Niemand von uns weiß, über welche Qualifikationen der Leitstellendisponent tatsächlich verfügte und welche Gründe ihn zu seiner Entscheidung, lediglich 2 Sanitäter (es geht aus dem Bericht leider nicht hervor, ob es sich um Rettungs- oder Notfallsanitäter gehandelt hat) zum Notfallort zu schicken. Eine gründliche Untersuchung dieses Vorfalls sollte dennoch stattfinden, um solche Vorfälle für die Zukunft ausschließen zu können.

Name: Stefan Babler
Datum: 17.10.102 15:29

Warum Samariterbund?

Meiner Auffassung nach liegen hier viel zu viele Doppelfunktionen vor. Wozu gibt es den Notruf 144, wenn dann die Leute sowieso anrufen, wen sie wollen.

Es werden war die Anrufe von Traiskirchner Nummern (beginnen mit 5) zum ASBÖ geleitet, allerdings die Tribuswinkler Nummern (beginnen wie die Badener mit 2, 4 oder 8) zum Roten Kreuz nach Baden.

Selbst wenn sie einen Notarzt hätte rufen wollen, der ASBÖ hätte ihn aus Baden anfordern müssen, weil es in Traiskirchen keinen gibt.

Daher, liebe Bevölkerung von Tribuswinkel, wählt 144 statt 53700!

Hallo Frau Obermeier!

Die einzig korrekte Telefonnummer im Notfall ist 144, da diese zur nächsten Rettungsleitstelle geschaltet ist. Alles andere (zB 52-144, oder 1774 in Wien, u.d.gl.) dient nur zur Anmeldung von Krankentransporten. Da in Traiskirchen selbst kein Notarzt stationiert ist, muss eine Notarzt-Anforderung auch durch den Traiskirchner Samariterbund unter Tel. 144 an einen Notarztstützpunkt weitergegeben werden (Baden, Eisenstadt, Wiener Neustadt, Mödling), was natürlich Zeit kostet. Ich weiß, in manchen Ortschaften wird von den Hilfsorganisationen gern die "eigene" Nummer publiziert, um auch ja keinem Einsatz zu
entgehen. Dass dies natürlich einen undurchschaubaren Alarmierungs-Dschungel auslöst, ist allerdings damit vorprogrammiert.

Im Notfall sollte also wirklich nur 144 (Rettung/Notarzt), 122 (Feuerwehr) oder 133 (Gendarmerie) angerufen werden.

Leider gibt es im Österreichischen Rettungsdienst immer noch sinnlose "Konkurrenzkämpfe" zwischen einzelnen Organisationen, wodurch mancher Bürger schon mal verunsichert werden kann, welche Nummer er denn nun wählen sollte, um wirklich schnellstmögliche Hilfe zu bekommen. Dennoch: um nicht in ein unnötiges Wirrwarr zu schlittern, sollte wirklich nur die EIGENTLICHE Notrufnummer verwendet werden, die auch zur zuständigen Rettungsleitstelle geschaltet ist, denn nur dort können alle Rettungsmittel im Bezirk effizient disponiert und überblickt werden.

Liebe Grüße G. S.