Eine Decke und Jochens Tränen...

[ 2001-12-24, Wien, Prof. Reinald Hübl, Menschlich betrachtet ]

ETWAS GESTÖRT ist das Verhältnis zum Weihnachtsfest für die Familie O. aus Oeynhausen. Denn kurz vor dem Heiligen Abend, am 22.Dezember 1999, war Sohn Jochen bei einem Verkehrsunfall schwerst verletzt worden. Jetzt 24 Jahre alt, befindet er sich seither im Wachkoma.

Begreiflich, dass in der Familie seither zu Weihnachten Freude nicht so recht aufkommen konnte.

Jochen lebt im "Geriatriezentrum am Wienerwald", in Lainz. Von dort begleiteten ihn seine Mutter, Frau Uschi O. und seine zwölfjährige Schwester Anna mit noch neun anderen Patienten und deren Betreuern zum Christkindlmarkt vor dem Wiener Rathaus.

Es war ein bitterkalter Tag. Die Mutter fürchtete, dass Jochen in seinem Rollwagen frieren könnte, obwohl er an sich in einem Schlafsack steckte.

Frau Uschi suchte eine Decke. Bei Stand Nummer 40 wurde sie fündig. Behutsam schoben Mutter und Schwester die Decke unter den Schlafsack. Als es Jochen jetzt kuschelig warm hatte, wollte die Mutter zahlen. Die zwei Frauen in dem Standl hatten zugesehen und sagten: "Das passt schon." Mehr als ein Geschenk.

Beim Weiterfahren durch den zauberhaften Markt rannen Jochen Tränen der Rührung über die Wangen.

Er hatte sehr wohl mitbekommen, was geschehen war. Er konnte es nicht sagen, aber er spürte die Wärme - auch der Menschlichkeit.

Wird für ihn und seine Familie heuer Weihnachten ein bisschen froher sein?

© 2001-12-24 by "NEUE KRONEN ZEITUNG"

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