Artikel in "Die Ganze Woche" vom 2.4.2003

Nur die Augen "leben" noch

Nach einem Autounfall liegt Jochen, 25, aus Oeynhausen (NÖ) seit 3 Jahren im Wachkoma. Wie alle Wachkoma-Patienten, die nicht in der Familie betreut werden, landete er  in einem Pflegeheim. Doch seine Mutter möchte ihn ins Leben zurückführen. Mit anderen Betroffenen kämpft sie um ein eigenes Wachkoma-Haus mit Spezialbetreuung. 400 Menschen ins unserem Land, vor allem Junge fallen jährlich in diesen Zustand.

Anmerkung von Jochens Mutter:
Leider konnten wir es nicht verhindern, dass der Ausdruck "nur die Augen leben noch" und "fünf verdrehte Körper" im Artikel erschienen sind. Wir konnten es nicht mehr ändern ....

Jochen ist einer von fünf Patienten im Zimmer des Pflegeheims.  Fünf verdrehte reglose Körper. Das einzige, was zu leben scheint, sind die Augen. Sie schauen und sie bewegen sich - sind das einzige Verständigungsmittel.   "Einmal zwinkern heißt ja", erklärt Jochens Mutter, "zweimal zwinkern nein".

Neben jedem Bett hängen  Fotos an der Wand, die zeigen, wie es früher einmal war. Die Frau im Bett  rechts neben Jochen war eine fesche Rothaarige, bis ein eifersüchtiger Mann sie ins Koma schlug, die Frau links war strahlende Omi bis zum Schlaganfall. Und die jungen Männer gegenüber haben ihre Gesundheit durch Unfälle verloren.

Jochen auch. Vor drei Jahren kam der 25jährige  EDV-Techniker kurz vor Weihnachten vom letzten Kunden nicht heim. "Bald nach der Auffahrt auf die Semmering Autobahn ist er mit dem Firmenauto auf Glatteis ins Schleudern gekommen", erzählt Uschi Obermeier seine Mutter, "und gegen die Leitplanke geprallt." 

Hirnblutung sagten die Ärzte und 3 Wochen später äußerten sie die Befürchtung: "Es könnte ein Wachkoma werden".

"Aber ich war sicher: Mein Kind wacht schon wieder auf".

Als es nach sieben Monaten Rehabilitation hieß: "Es bleibt nur mehr das Pflegeheim", musste Jochens Familie den Tatsachen ins Auge sehen:  "Wir wollten ihn heimnehmen, aber wir haben zu wenig Platz. Wir sind auf der Suche nach einem größeren Haus, aber es ist alles so teuer."

Uschi Obermeier streichelt ihrem Sohn über die Wangen. "Gehts dir gut?" Er zwinkert einmal.

Die Oma ist auch da. In die Spritze, die sie ihm gleich über die Magensonde verabreichen wird, hat sie selbstgepressten Vitaminsaft gefüllt. "Apfel, Karotte und Orange", preist sie an. Er kann´s nicht "schmecken", aber sie ist sicher, dass ihr Enkel sie versteht.

Die beiden Frauen wirken nicht bedrückt. Die Oma kann sogar lachen als sie erzählt, dass sie Jochen gerade erst halb rasiert hatte, als er zur Musik-Therapie (siehe Bild) abgeholt wurde. "Je mehr man sich auf die Situation einlässt, desto besser kann man sie ertragen", meint  sie. Am Anfang freilich, war der Schmerz über das Schicksal des Kindes und Enkels oft so groß, dass die Mutter Herzbeschwerden hatte und die Oma vor "zittriger Knie" nicht in die Straßenbahn einsteigen konnte. Und die Festtage, Geburtstage, Weihnachten, sind "noch immer tränenreich".

"Auch wenn, so wie jetzt, ein Freund vom Jochen geheiratet hat, denkt man schon:  das werden wir nie erleben", seufzt die Mutter.  Aber im Großen und Ganzen hat die Hoffnung gesiegt: "Ich bin überzeugt, dass man Patienten bei entsprechender Therapie aus dem Wachkoma führen kann", so Uschi Obermeier.

Jochen liegt seit zwei Jahren in einem Pflegeheim. Für die meisten Wachkoma-Patienten, die nicht daheim untergebracht werden können, gibt es bisher nur die Pflegeheime als Endstation. Junge Wachkoma-Patienten inmitten von alten Leuten, die Bedürfnisse gehen vollkommen auseinander.

"Hier im Heim", so Uschi Obermeier, "gibt es wenigstens seit kurzem eine eigene Wachkoma-Station. Das Personal ist sehr engagiert".

Aber für die Therapien die ihr Sohn benötigt, wie Logopädie, Ergo-Therapie und Physio-Therapie muss Uschi Obermeier, die noch eine 13jährige Tochter hat, großteils selber sorgen. Nicht jeder Angehörige hat diese Möglichkeiten. Um wirklich auf größere Fortschritte hoffen zu können, müssten die Therapien noch intensiver sein. "Ein eigenes Wachkoma-Haus wäre mein größter Wunsch", so die Mutter. Sie denkt dabei an Deutschland, wo Dietmar Baumhof, ein Privatmann, vormacht, wie man mit intensiven Spezialtherapien in einer eigenen Klinik große Erfolge haben kann.

Uschi Obermeier gehört dem Verein "Hope" an, der so ein Projekt auch für unser Land plant. Initiator ist Thomas Bolzer, ein diplomierter Krankenpfleger im Wiener Otto-Wagner-Spital, der Wachkoma-Patienten in der Rehabilitation betreut, also bevor sie an die Pflegeheime  "verschickt" werden. "Der Gedanke, dass viele meiner Schützlinge dann nur mehr sozusagen aufgehoben werden, tut mir weh". Deshalb sein Kampf für ein Projekt á la  Baumhof. "Der Mann hat nach dem Tod seiner Tochter, die auch im Koma lag, sein Haus in eine Klinik umgebaut und betreut dort 6 Betroffene".

"Die Erfolge sind beeindruckend", weiß Bolzer, "Patienten können wieder ins Familienleben, manche sogar ins Arbeitsleben integriert werden".

Kontinuierlich sehr viele Reize setzen, das ist das Wichtigste für den Patienten, weiß Bolzer.  Für ein Wachkoma-Haus Standort Bruck/Leitha gibt es schon alle Pläne. Das Geld, 1,2 Millionen Euro gibt es noch nicht. "Aber wir kämpfen. Um Zuschüsse und Spenden. Das Haus sollte auch ein Zentrum sein, um Pflegepersonal und Angehörige aus ganz Österreich zu beraten".

400 Menschen erleiden jährlich das Schicksal eines Wachkomas. Über die Hälfte davon sind unter 40 Jahre. Die Medizin kann immer mehr Gehirnverletzte am Leben erhalten. Was aber mit diesen Behinderten geschieht, ist eine andere Frage.

"Am Anfang", so Uschi Obermeier, "hab ich zeitweise gedacht: Vielleicht wär´s für den Jochen besser gewesen, man hätt´ ihn nicht retten können. Das muss ich ehrlich zugeben. Jetzt bin ich dankbar, dass es ihn noch gibt."

Und jeder neue Tag bringt neue Hoffnung:  Und vielleicht ist grad morgen der Tag, an dem ihr größter Wunsch erfüllt wird. Dass Jochen endlich etwas sagt. "Mama, ich hab Durst zum Beispiel..."

M.Berger / Die Ganze Woche